Der Fachkräftemangel in der IT-Branche ist in aller Munde – aber wie schlimm ist es wirklich? Wir wollen die Angst vor dem IT-Fachkräftemangel mit Zahlen und Fakten versehen.
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Wann herrscht überhaupt ein Fachkräftemangel?
Ein Fachkräftemängel herrscht dann, wenn Unternehmen vorhandene Arbeitsplätze aufgrund eines Mangels an qualifizierten Bewerbern langfristig nicht besetzen können.
Auf genau dieses Phänomen verweisen Digitalverbände wie der Bitkom. Obwohl nämlich bereits viele neue Arbeitsplätze in der IT-Branche geschaffen wurden, hätten die meisten Unternehmen noch wesentlich mehr Menschen einstellen können.
Zahlen und Eckdaten zum Mangel an IT-Fachkräften in 2023
IT-Personal wird heute sowohl bei der Herstellung vieler Produkte wie auch Dienstleistungen benötigt. Die Nachfrage dafür ist hoch und deshalb werden auch immer mehr IT-Fachkräfte benötigt, die Unternehmen in den Digitalisierungsprozessen unterstützen. Wenn nicht genügend IT-Fachkräfte ausgebildet werden, um der steigende Nachfrage gerecht zu werden, befürchten die Unternehmen eine mögliche Stagnation des derzeitigen Wachstums. Dies bedroht zudem die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen am Weltmarkt.
In der folgenden Grafik der neusten Bitkom-Studie, können Sie sehen, wie sich die Anzahl an offenen Stellen in der IT in den letzten Jahren entwickelt hat:

Die Situation scheint anhand erster Kennzahlen also dramatisch zu sein. So hat sich der Mangel an IT-Fachkräften deutlich verschärft. Bitkom geht davon aus, dass sich die Lage in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. Ein gewichtiger Faktor wird der demografische Wandel dabei spielen, so Bitkom. So träten viel mehr Menschen mit IT-Background aus dem in den IT-Arbeitsmarkt aus, als ein. Eine dramatische Entwicklung.
Auch die Anzahl an Unternehmen, die Probleme haben, ihre vakanten IT-Stellen zu besetzten ist in den letzten Jahr hoch gewesen. In folgender Grafik sehen sie dazu die Unterschiede aufgeteilt nach Unternehmensgröße:

Anteil von Unternehmen in Deutschland, die im Jahr 2018 Schwierigkeiten hatten, freie Stellen für IT-Fachkräfte zu besetzen, nach Unternehmensgröße
Branchenforderung: Förderung und Zuwanderung, um Fachkräftemangel entgegenzuwirken
Die Industrieverbände plädieren aufgrund dieser Zahlen und Probleme in der Branche für gezielte Förderungsprogramme durch die Politik. Sie sollen neue Professuren und Studienplätze im Bereich der Naturwissenschaften und IT bereit stellen und damit qualifizierte Absolventen ausbilden.
Außerdem plädieren viele Betriebe und Vertreter der Branche für ein modernes Zuwanderungsgesetz. Qualifizierte IT-Fachkräfte aus anderen Ländern sollen damit gezielt für Arbeitsplätze in Deutschland angeworben werden.
Unternehmen beschweren sich zudem zunehmend über hohe Gehaltsforderungen und unzureichende Erfahrung. (Quelle: Golem)
Der Ukrainekonflikt 2022 als Migrationsanlass für IT-Fachkräfte aus Russland und Belarus?
Bitkom spricht in seiner Pressemitteilung vom November 2022 zudem davon, dass 37 Prozent der befragten Unternehmen ihre Vakanzen mit IT-Kräften aus Russland oder Belarus besetzen würden. Vorausgesetzt, die Menschen würden sich vorab einer behördlichen Sicherheitsprüfung unterziehen. Laut Bitkom sei das Potenzial enorm, denn wenn die Zuwanderungsbestimmungen für diese Menschen erleichtert würden, könnten möglicherweise 59.000 Vakanzen mit Fachkräften aus den besagten Staaten besetzt werden.

Wie schlimm ist die Situation am Arbeitsmarkt wirklich?
Der Bewerbermarkt: Arbeitnehmer können ich freuen
Es gibt im IT-Branche derzeit sehr gute Einstellungschancen und diese wird es auch in den nächsten Jahren noch geben. Man kann sogar von einer Jobgarantie sprechen – sofern man sich spezialisiert hat.
Darüber herrscht Einigkeit. Auch, dass die „Time to Hire“ weiter steigen wird und viele Unternehmen gerne weitere Fachkräfte einstellen würden, legen die Daten nahe.
Fakt ist: Die Zahl der offenen Stellen für IT-Experten steigt nach Bitkom Research auch in 2022 stark an. In Zeiten der zunehmendem und umfassenden Digitalisierung, die nach und nach immer mehr Branchen betrifft, ist diese Entwicklung wenig überraschend.
Die Fachkräfteengpassanalyse der Arbeitsagentur führt IT-Berufe weiterhin als Bereich mit Engpässen bei Experten.
Manche Wissenschaftler zweifeln am Fachkräftemangel
Ob man jedoch tatsächlich von einem eklatanten Fachkräftemangel reden kann, ist nicht so klar, wie es die allgemeine Wahrnehmung oftmals vermuten ließe. In den Wirtschaftsblättern und seitens der Forschungsinstitute fallen die Stimmen zum Teil kritisch aus.
So schlägt beispielsweise der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Straubhaar in diversen Interviews und Vorträgen andere Töne an. Ihm nach herrscht eher ein „Führungsmangel“. Der Fachkräftemangel werde von manchen Unternehmen mit Kalkül eingesetzt um Hilfsmaßnahmen von der Politik fordern. Er sagt, das Thema Zuwanderung werde im Bezug auf den Fachkräftemangel instrumentalisiert.
Auch lässt sich anhand einiger Statistiken festhalten, dass die Nachfrage in einigen Berufen höher ist als in der IT.

Mehr Statistiken finden Sie bei Statista
Der monatliche Indexwert berechnet sich aus dem Verhältnis der aktuellen monatlichen Anzahl der Stellenausschreibungen in dem jeweiligen Berufsfeld zum Durchschnitt des Jahres 2013.
Es gibt auch weitere empirische Belege, die an einem schlimmen Fachkräftemangel zweifeln lassen.
Der bedeutendste davon ist die Lohnentwicklung (die auch Thomas Staubhaar in seinem Interview anführt). Sie ist in den Jahren 2018 bis Q1 2022 nur mäßig gestiegen. Seit Q2 2020 liegt die Reallohnentwicklung im Durchschnitt bei -1,34 %. Ein Negativtrend der sich in der Krise sicherlich fortsetzen wird.
Wenn die Unternehmen tatsächlich händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften suchten, würden sie den Bewerben bessere Konditionen anbieten. Gut möglich, dass ein Teil der Fachkräfte sich auf die ausgeschriebenen Stellen schlicht und einfach deshalb nicht bewirbt, weil in anderen Unternehmen oder Ländern bessere Konditionen locken. Auch sagt eine Zahl über offene Stelle nichts über einen Fachkräftemangel aus.

Mehr Statistiken finden Sie bei Statista
Entwicklung der Marktsituation
Im letzten Jahr wurden ausgesprochen viele Arbeitskräfte eingestellt. Allerdings wird das Angebot an passend qualifizierten Arbeitnehmern in manchen Branchen knapper. Dies führt in manchen Bereichen zu um einige Monate verlängerten Suchphasen für Arbeitgeber. Bitkom spricht davon, dass die IT-Personalsuche im Jahr 2022 im Schnitt 7,1 Monate dauert.

Allerdings verändert sich auch der Arbeitnehmermarkt. So beschweren sich mittlerweile viele Recruiter über unzureichend qualifizierte IT’ler oder solche mit zu hohen Gehaltsvorstellungen. Auch wird eine geringe Bereitschaft zum Geschäftsreisen und für berufsbedingte Umzüge bemängelt. Die Coronazeit hat diesen Trend insbesondere mit den Home-Office-Möglichkeiten verschärft. Dies können wir aus Gesprächen mit unseren eigenen Partnerunternehmen auf www.IT-Talents.de aus erster Hand bestätigen. Die Reisebereitschaft hätte deutlich abgenommen und keine Home-Office-Möglichkeit sei bei vielen IT-Fachkräften ein absolutes No-Go. Diese komfortable Situation führt dazu, dass IT’ler nicht zwingend jede sich bietende Stelle annehmen müssen und haben daher Ihre Ansprüche nach oben korrigiert.
Fazit
Die digitalen Herausforderungen werden für alle Unternehmen substanziell sein. Hierfür stehen in Deutschland viele IT-Fachkräfte zur Verfügung – die allerdings nicht immer schnell gefunden werden. Die hohe Nachfrage erschwert Unternehmen den Kampf um die IT-Talente – unattraktive Arbeitgeber haben es unter diesen Umständen extrem schwer und müssen IT-Fachkräften im War for Talent mehr bieten.
Die Unternehmen können diesem Kampf nicht aus dem Weg gehen. Sie sollten sich vorbereiten: Es gilt, die eigenen Lage zu analysieren und kreative und effektive Maßnahmen zu ergreifen.
Der Artikel wurde zuletzt am 18. Januar 2023 durch die IT-Talents-Redaktion aktualisiert.